Antiklassizismen im Cinquecento
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Alternativer Klassizismus

C Dante als Gegenmodell. Theoretische Rezeption und kunstproduktive Aneignung eines a-klassischen Klassikers im Cinquecento (Florian Mehltretter/Sasha Resch)

Das Teilprojekt geht von dem Befund aus, dass Dantes Klassizität in der italienischen Renaissance heiß umstritten, seine Kanonisierung aber längst erfolgt war. Er ist abgewertetes Gegenmodell in klassizistischen Poetiken und doch auch Gegenmodell im positiven Sinne einer produktiven Alternative in anderen theoretischen Diskursen und noch mehr im künstlerischen Schaffen.

Zum einen wird im Teilprojekt die theoretische Diskussion um Dante detailliert erforscht. Dantes faktische Kanonizität zeigt sich bereits in der Generation Boccaccios am populären Erfolg der Lecturae Dantis. Dem gegenüber bildet sich jedoch schon früh eine humanistische Haltung der Geringschätzung gegenüber diesem angeblich eher für Wollweber und Bäcker passenden Dichter heraus (Leonardo Bruni, Dialogi ad Petrum Paulum Histrum), die teils aristokratische Pose ist, teils auf die ästhetische Aklassizität Dantes zurückgeht. Bembo konkretisiert diese Ablehnung 1525 (Prose della volgar lingua) in einer klassizistischen Kritik am gemischten Stil Dantes, zusätzlich jedoch aus einer nicht unbedingt klassisch-antik gedeckten ästhetizistischen Tendenz heraus, die den niederen Stil auch dort ablehnt, wo er hinpasst. Nun bildet sich eine Haltung heraus, die Dante dottrina, nicht aber ästhetische Qualität bescheinigt; letztere sucht man einzig bei Petrarca.
Dagegen formieren sich verschiedene Gegenbewegungen: Zum einen entstehen Para- und Epitexte zur Commedia, die einzelne stilistische Entscheidungen Dantes rechtfertigen und würdigen (Trifone Gabriele, Bernardino Daniello), wenngleich überwiegend aus einer an Petrarca orientierten Perspektive (Dante wäre so gesehen dort klassisch, wo er Petrarcas Stil nahekommt). Dantes Sprache wird auch historisierend im Vergleich zur wenig literarisch ausgebauten Sprache seiner Zeit gewürdigt (Benivieni, Gelli). Aber insbesondere im Florentiner Ambiente entstehen Argumentationen, die diesen apologetischen Horizont überschreiten und positive Merkmale in Dantes Stil entdecken, etwa proprietà der Wortwahl und vor allem der Vergleiche, varietas, die Qualität des meraviglioso (Borghini), ja sogar purità (Accademia Fiorentina).
Daneben bildet sich langsam das Argument heraus, Dante eigne eine besondere Qualität der Herbheit,
etwa in Trissinos Poetica (II,7), wo Dante grandezza, dignità, veemenzia und asperità zugesprochen werden. Ludovico Dolce parallelisiert 1557 in seinem Dialogo della pittura Dante mit Michelangelo, Petrarca mit Raphael.
Mit der Wiederentdeckung der Poetik des Aristoteles in der Mitte des 16. Jahrhunderts verschiebt sich die Diskussion von einer stilistischen zu einer mimesis- und gattungspoetologischen, die dann auch die Frage aufwirft, ob ein philosophisches Lehrgedicht überhaupt Poesie sei. Die zweite Hälfte des sechzehnten Jahrhunderts sieht dann den berühmte Dante-Streit, dessen wichtigste Eckdaten Ridolfo Castravillas Discorso von 1572 und Jacopo Mazzonis gigantische Difesa von 1587 sind.
Torquato Tasso interessiert sich dann vor allem für den hohen Stil Dantes, sowie für die Funktion der Sprache. In Bezug auf die Letztgenannte preist Tasso Dante vor allem als Meister der enargeia („energia“), des Vor-Augen-Stellens durch genaue und detailreiche Beschreibung und durch belebende Metaphern, sowie der Erregung von Affekten (Discorsi dell’arte poetica, III). Nicht zuletzt aber entfernt sich Tasso von Bembos Stillehre der allgültigen harmonischen Mischung von gravità und piacevolezza in Richtung auf eine stärkere Unterscheidung der Stillagen. Der stile magnifico ist nun für Tasso gerade von jener „asprezza di suono“ gekennzeichnet, deren Meister Dante ist (Discorsi del poema eroico, V). Ein Vergleich dieser ästhetischen Qualität von Dantes herbem Stil mit Malerei und Musik findet sich sodann in Alessandro Guarinis Il farnetico savio ovvero il Tasso von 1610. Dante ist bei Guarini dem Jüngeren wie ein Musiker, der durezza, asprezza und dissonanza einsetzt, und zwar im Dienste der Mimesis; bei den Malern entspricht Dante nicht nur Michelangelo, sondern auch Tintoretto.

Zum anderen soll im Teilprojekt aber auch die Rolle einer dantesken Poetik in den anderen Künsten, vor allem aber in der dichterischen Produktion der Zeit untersucht werden. Hier sind einerseits die offen dantesken Terzinendichtungen des Cinquecento zu nennen, die bislang weitgehend unerforscht sind: historische Erzählgedichte wie des Fra Benedetto da Firenze Cedrus Libani von 1510 über Savonarola, welcher auch Dantes satirischen Stil aufnimmt; Machiavellis Asino; daneben Lehrgedichte wie Paolo del Rossos 1578 in Paris gedruckte Fisica (nach Aristoteles) und das anonyme nur in Manuskriptform überlieferte Della diffusione del sommo bene (ca. 1530), in welchem als Episode einer großen Schöpfungs-, Welt- und Heilsgeschichte auch Dantes Aufstieg in den Himmel erwähnt wird; noch deutlicher lehnt sich der Savonarola-Anhänger Zanobi Ceffini ca. 1543 mit seiner Jenseitsreise in der Peregrinazione an Dante; spezifisch christliche bzw. biblische Dichtungen können ebenfalls in Terzinenform sein, etwa Giovan Maria Albinis Trionfo di Gesù Cristo. Eine naheliegende Hypothese ist, dass Dante vor allem für Literaten, die Savonarola nahestehen, ein Modell sein könnte, gerade weil die von diesem abgelehnten Ästheten (wie Bembo) Dante gering schätzen.
Neben diesen von der Forschung so gut wie nicht beachteten Texten interessieren aber auch danteske Verfahren und Tendenzen in den großen kanonischen Werken wie Tassos Gerusalemme liberata oder dessen Mondo creato.